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Blog Von Eva
Das Leben danach
Romy aus
Paris
Tag 8


Ein Sechser für Sarah

Eigentlich wollte ich nur schnell einen Espresso am Gare de Lyon trinken gehen. Ich renne durch den Regen und stürze in das Café nebenan. Mein Blick fällt auf ein junges Mädchen, die Augen dunkel geschminkt, mit einem Kapuzenpullover sitzt sie an einem kleinen Tisch. Vor ihr liegt ein Lottoschein, den sie gewissenhaft ausfüllt. Warum spielst du Lotto, frage ich mich und mit dieser Frage spreche ich sie an.

Als ich ihr gegenüber sitze, fallen mir ihre schmutzigen Hände auf, die in abgeschnittenen Handschuhen stecken. „Ich habe wenig Zeit, ich muss zurück auf den Bahnhof“, sagt sie. „Ich lade dich zu einem Kaffee ein“, antworte ich.


Warum sie zurück zum Bahnhof muss, sagt mir Sarah ohne zu zögern: „Ich bettle, und jetzt ist genau die richtige Uhrzeit, die Leute kommen von der Arbeit.“ Seit drei Monaten lebt die 18 Jährige in Paris. Sie kam mit ihrem Freund aus der Nähe von Lyon und wollte in der Hauptstadt eine Ausbildung zur Gastronomin beginnen. Zunächst ist sie froh von zu Hause weg zu kommen. Weg von der Mutter, die depressiv ist und mit der sie sich nicht versteht. Auch wenn ihr Freund sie schlägt, so sieht sie doch mit ihm ein neues Leben vor sich. Schnell jedoch zerschlägt sich dieser Wunsch. Bei den Eltern des Freundes fliegen die beiden raus. Die Beziehung zerbricht, weil Sarah die Schläge nicht mehr ertragen kann.

Ohne Zuhause landet sie in einer Obdachlosenabsteige, umgeben von Drogenabhängigen, illegalen Immigranten, Alkoholikern. „Wenn du in diesem Milieu lebst, dann kannst du nicht anders. Dann nimmst du auch Drogen.“ Mit Kokain hatte Sarah schon früher zu tun, aber durch ein Sozialprogramm hatte sie den Absprung geschafft. Nun steckt sie wieder mitten drin, in dem Teufelskreis aus Drogen, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit. In ihrem Job wurde sie rausgeworfen, denn ohne festes Zuhause erschien sie nicht mehr pünktlich, ungeduscht.

„Ich wollte nicht anfangen zu betteln, aber ich habe keine andere Wahl“, sagt sie fast entschuldigend. „Es ist schrecklich. Die Leute behandeln mich wie Scheiße. Und was sie dir geben, hängt davon ab, ob du noch dein Lächeln behältst. Das ist nicht immer einfach.“ Von dem Geld, das sie erbettelt, leistet sie sich ab und zu ein Hotelzimmer. Sie will versuchen etwas zur Seite zu legen für ein neues, ein anderes Leben. Vielleicht klappts ja diese Woche mit dem Lotto. In der letzten Woche hat sie 150 Euro gewonnen. „Ich tippe immer dieselben Zahlen“, verrät sie mir. Was die Zahlen bedeuten? Es sind die Geburtstage ihrer Familie und ihres Ex-Freundes.

Ihren Vater hat sie seit fünf Jahren nicht gesehen, er lebt in Deutschland, seit sich die Eltern getrennt haben. „Er ist Moslem und würde mit meiner Art zu leben nicht klar kommen. Deswegen haben wir keinen Kontakt.“ Sarahs Mutter weiß nicht, dass sie auf der Straße lebt. „Ich habe ihr gesagt, ich mache meine Ausbildung weiter.“ Sarah hofft, dass sie eines Tages nach Hause kommt, ohne lügen zu müssen. Wenn sie junge Leute ihrer Generation sieht, stellt sie manchmal ein "ganz normales Leben vor". Eifersucht empfindet sie nicht. "Ich habe genauso Respekt vor ihnen. Ich wünschte eben, ich wäre an ihrer Stelle."

Ihre Vorstellungen von der Zukunft? Eine kleine Wohnung, eine Arbeit, eine Familie. Vielleicht einen Hund, „denn ich hatte schon mal einen, aber der wurde mir gestohlen.“ Wenn sie im Lotto gewinnt, dann kauft sie sich vielleicht wieder einen. Bis dahin will sie von den Drogen loskommen, „denn ich empfinde nicht einmal Glück dabei und doch komm ich nicht davon weg.“ Sie trägt die letzen Zahlen auf ihren Schein ein, sechs Zahlen für ein anderes Leben. Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. Mir bleibt nur noch Eines zu sagen: Viel Glück Sarah!